Krankheit als Sprache der Seele, Rüdiger Dahlke
Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dahlke.
Das Multiple Sklerose Kapitel ist aus obigem Buch und ich würde jedem empfehlen, das Buch zu lesen, um
überhaupt diese Ansichten zu verstehen. Dr. Dahlke hat auch wunderbare Meditationen
wie z. B. die "Elemente-Rituale" oder den "Inneren Arzt". Oftmals kann man die Ausführungen vom Kopf her
irgendwie verstehen, aber die Umsetzung und das tiefere Verstehen muß von Innen kommen, wobei Meditationen helfen.
Manchmal ist es aber auch schwierig, die angegebenen Eigenschaften an sich selbst zu entdecken. Dazu gehören
Offenheit und Ehrlichkeit sich selber gegenüber und am besten eine gute Portion Humor (ist ja manchmal
wenig nett, was da so steht...). Eine andere Möglichkeit ist, die Eigenschaften an anderen wahrzunehmen
und dann im Sinne "Umwelt als Spiegel" bei sich selber zu schauen. Die Erfahrung, auch mit anderen
Symptomen und Krankheiten (natürlich sind auch meine Freundinnen auf den Trip gekommen)
, zeigt, daß die Deutungen, die Dr. Dahlke ja nicht selber erfunden hat, schlicht und
einfach stimmen - ob man´s sehen kann oder will oder eben nicht. Fest steht, daß die ganze Angelegenheit
auf der einen Seite ziemlich unangenehm, aber auf der anderen Seite, im positiven gesehen, ziemlich
spannend ist und schließlich helfen kann, den Weg Richtung Gesundheit einzuschlagen.
Interessant sind die Ausführungen meines Erachtens nur, wenn jemand sein Leben im Sinne von "Schicksal als Chance" begreift - also das Leben als Lernaufgabe sieht, zu grösserer "Ganzheit" zu gelangen.
Das Krankheitsbild hat so viele Gesichter und Symptome, daß es anfangs häufig fehldiagnostiziert wird. Ist die Diagnose
gestellt, wird sie wegen ihrer Unerbittlichkeit und der Unbehandelbarkeit seitens der Schulmedizin gern verschwiegen.
Dieses an sich schon fragwürdige Vorgehen ist bei MS-Patienten besonders unsinnig, da sie ohne Diagnose auf
Grund ihres seelischen Musters erst recht in einer aussichtslosen Situation sind. Da sie den Anspruch haben,
mehr als gut zu funktionieren und alles hundertprozentig zu machen, und obendrein dazu neigen, alle Schuld
bei sich zu suchen, bringen sie ihre vielfältigen Ausfälle in verzweifelte Situationen. Das geht manchmal
so weit, daß sie die Diagnose, wenn sie sie endlich erhalten, geradezu mit Erleichterung aufnehmen, da sie
diese vom Odium des Simulierens und Sich-Drückens definitiv befreit und ihnen endlich einen Vorwand gibt,
wenigstens ein bißchen loszulassen vom eigenen Perfektionismus. Sie müssen ja nun nicht mehr alles können.
Die Tendenz, die Zähne zusammenzubeißen und sich selbst die Schuld zu geben, gepaart mit einer gewissen
Dickköpfigkeit, ist auch eine Gefahr bei allen anstehenden Deutungen. Hier sei noch einmal darauf hingewiesen,
daß es dabei nie um Wertung geht, auch wenn die Sprache es manchmal so erscheinen läßt, sondern immer um
Deutung. Deutet man sein Leben mit all seinen Erscheinungen, wird es nicht besser oder schlechter, sondern
bekommt Bedeutung.
Trotz ihrer Vielfalt untermauern die Symptome ein Grundmuster. Die häufige Schmerzempfindlichkeit
der Wirbelsäule rührt von den in der Tiefe ablaufenden chronischen Entzündungsprozessen in diesem Bereich.
Sie deuten einen schwelenden Konflikt um die Aufrichtigkeit an, der zeigt, daß Aufrichtigkeit, sich stellen
und Rückgrat zeigen mit Schmerzen verbunden ist. Auch andere Schmerzempfindungen gehören in diesen Zusammenhang.
Viele Betroffene klagen über Fußschmerzen, die anzeigen, wie schwer ihnen der Weg fällt, der meist nicht ihr
eigener ist. Die Fuß- und Beinschmerzen können sie wirklich von den Beinen holen und verdeutlichen, wie schmerzlich
es ist, den eingeschlagenen Weg durchzustehen. Sie zwingen, sich herabzulassen, die eigene schmerzhafte Schwäche
anzunehmen. Daß immer noch behauptet wird, das Krankheitsbild verlaufe ohne Schmerzen, muß in den Ohren
darunter Leidender makaber klingen.
Sensibilitätsstörungen drücken aus, daß die Betroffenen in verschiedenen Bereichen von Körper und Seele
nichts mehr spüren und damit auch nichts mehr wahrnehmen. Selbst wenn ihnen der Arzt mit einer Nadel
zu Leibe rückt, realisieren sie das nicht. Sogar Dinge, die sie direkt und gefährlich tangieren, ja zu verletzen
drohen, nehmen sie nicht mehr wahr, haben sie ausgeschaltet. Tatsächlich kann man von einer Ausschaltung
der Außenwelt und ihrer Wirkungen sprechen. Solches Abschalten wird auch in anderen Symptomen deutlich
wie der Abschwächung der Reflexe, die bis zur völligen Reflexlosigkeit gehen kann. Reflexe sind die
einfachsten Antworten des Nervensystems auf Reize. Menschen ohne Reflexe haben die ältesten ererbten
Reaktionsmöglichkeiten auf ihre Umwelt verloren bzw. aufgegeben. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes
reaktionslos. Wie sehr sie auch gereizt werden, sie bleiben stumm und antworten im tiefsten Sinne nicht mehr
auf das Leben und seine Anforderungen. Dem entspricht die Apathie, die häufig phasenweise auftritt. Das Wort
"Apathie" geht in seiner wörtlichen Bedeutung noch einen Schritt weiter, heißt es doch "Nicht-Leiden" (von
griech.: a=nicht und pathos=Leiden). Damit kennzeichnet es über die typische Schlappheit hinaus die Weigerung,
am Leben teilzunehmen und mitzuleiden. Zwar versuchen die Patienten, allen alles recht zu machen, aber ohne
innere Anteilnahme. Wie sollen sie auch am Leben anderer teilnehmen, wo sie am eigenen nicht recht mitfühlen,
wie die Gefühlsstörungen belegen. Taubheitsgefühle sind oft die ersten Symptome und können so allmählich beginnen,
daß den Betroffenen ihre Situation manchmal erst spät bewußt wird.
Gepaart damit ist der fast immer auftretende Kraftverlust. Die Patienten merken allmählich, daß sie alles
sehr anstrengt und daß alltägliche Tätigkeiten kaum mehr zu schaffen sind. Das Leben ist im wahrsten Sinne
des Wortes zu anstrengend geworden. Schließlich können sie oft nicht mal mehr die Beine heben. Im übertragenen
Sinne bekommen sie die Beine auch nicht mehr hoch, die überwältigende Schwäche verhindert Fortschritt
und Aufstieg im Leben, trotz häufig vorhandenen Ehrgeizes. Mit den nicht mehr tragenden Beinen signalisiert
der Körper, daß die Lebensbasis ihre Tragfähigkeit verloren hat. Die äußere körperliche Lähmung ist ein Abbild
der inneren. Zuerst versuchen die Patienten häufig noch, sich durchs Leben zu hangeln, indem sie nach jedem
Halt und jedem Strohhalm greifen. Selbst wenn sie im übertragenen Sinne längst am Stock gehen,
verweigern sie, solange es geht, die Hilfe durch solch ein drittes Bein, das die Lebensbasis wieder erweitert.
Wie der Stock kann sogar der mit soviel Schrecken umgebene Rollstuhl eine enorme Erleichterung bringen, wenn sich
die Patienten durchringen, Hilfe anzunehmen.
Mangelnde Kraft bis zu Lähmungserscheinungen in den Fingern und Händen zeigt, daß die Kraft fehlt, das eigene
Leben in den Griff zu bekommen. Auf beiden Ebenen kann nicht mehr zugepackt werden. Zu den
Lähmungserscheinungen paßt die innere Situation, die wie gelähmt empfunden wird.
Häufig anzutreffende lähmende Müdigkeit paßt ebenfalls zu diesem Bild. Manche Patienten schlafen bis zu
16 Stunden und verschlafen damit mehr als das halbe Leben. Ihren Zustand nach dem späten Erwachen beschreiben
sie nicht selten als "wie betäubt". Taubheit für die Anforderungen des eigenen Lebens und seine Bedürfnisse
ist ein Charakteristikum. Die empfundene Abgeschlagenheit demonstiert, daß man bereits abgeschlagen im
Lebenslauf ist und ein Zieleinlauf aus eigener Kraft kaum mehr zu erwarten ist. Zwar heißt es im Volksmund
Müdigkeit sei keine Krankheit, diese das ganze Leben vereinnahmende Form geht über die natürliche, aus der
Verausgabung der Kräfte resultierende Müdigkeit hinaus. Offenbar schwingt hier eine gehörige Portion in den
Körper gedrängte Abwehr gegen ein waches Leben mit. Patienten bestätigen häufig, daß sie am liebsten ihre
ganze Misere verschlafen würden. Andererseits ist aber aus die Verausgabung der Kräfte oft enorm. Für die
Patienten ist alles so anstrengend, daß selbst Kleinigkeiten extrem müde machen. Das Küchenmesser kann bereits
zu schwer sein, wenn der eigene Arm schon als Zentnerlast empfunden wird. Solch bleischwere Gewichte deuten
die Last an, die die Betroffenen auch in übertragener Hinsicht niederdrückt. Der Verdacht liegt nahe,
daß es irgendwo ein Leck gibt, durch das Energie entweicht. Dieses Loch hat die Medizin wahrscheinlich entdeckt:
Untersuchungen des Immunsystems legen nahe, in der MS eine Autoaggressionserkrankung zu sehen. Alle verfügbaren
Kräfte werden im Kampf gegen sich selbst verbraucht. So daß für das äußere Leben wenig übrig bleibt.
Weitere Symptome betreffen die Blase, jenes Organ, mit dem wir loslassen, aber auch Druck ausüben können.
Im Vordergrund steht bei vielen MS-Patienten auch hier Schwäche. Sie können ihr Wasser nicht mehr halten,
d.h., bei geringsten Anlässen läuft die Blase über. Das Symptom zwingt zurück in die Situation der frühen
Kindheit mit ihrer Unfähigkeit, die Körperfunktionen und das eigene Leben zu kontrollieren. Die oben nicht
geweinten Tränen, die sich MS-Patienten in ihrer Reaktionslosigkeit und Gefühlsblockierung nicht zugestehen
können, lassen sie unten überfließen, wo es niemand anders merkt. Dieses verschobene Weinen kann
sich bei voll ausgebildetem Krankheitsbild, wenn die Abwehrmaßnahmen unter dem Leid tendenziell zusammenbrechen,
auch wieder in richtiges Weinen zurückverwandeln. Nicht selten kommt es dann sogar zu richtiggehender Weinerlichkeit,
die niemandem so peinlich ist, wie dem Betroffenen selbst. Bei der geringsten Kleinigkeit, einer rührenden
Filmszene oder dergleichen, befreit sich die so lange gestaute seelische Flut in Tränenbächen. Oder aber die
Tränen sickern ständig vor sich hin und zeigen den Patienten, wie nahe sie eigentlich ans (Seelen)wasser
bauen müßten. Ein gefühlstrockenes Leben entspricht offensichtlich nicht ihrer Bestimmung, und die ständig
feuchten Augen zeigen, wie angerührt sie im innersten sind. Das gilt generell für die nach außen gekehrte
Gefühlslosigkeit und Härte. Wo der Staudamm bricht, ergeben sich Gefühlsausbrüche, die einen ganz anderen
Menschen zeigen. In Blasenentzündungen verkörpert sich der Konflikt ums Loslassen. Es wird zum brennenden
Bedürfnis. Das Symptom zwingt ständig dazu, ohne daß man viel von sich und seiner Seele geben könnte. Es
demonstriert nicht nur, wie notwendig Loslassen ist, sondern auch, wie schwer es fällt und wie schmerzhaft
es empfunden wird.
Die ebenfalls vorkommende Harnverhaltung, beinahe das Gegenteil der Blasenschwäche, verkörpert die extreme
Zurückhaltung in seelischen Dingen. Wie unabhängig das ganze Geschehen von der reinen Körperlichkeit ist,
zeigt die Tatsache, daß das weinerliche Überfließen der Blase mit der totalen Zurückhaltung des
Wassers wechseln kann.Zurückhaltung der eigenen seelischen Flut ist eines der für die seelische
Grundsituation charakteristischen Symptome. Hinzukommende Sprachprobleme illustrieren das selbe Drama.
Wortfindungsstörungen zeigen, daß den Patienten die Worte fehlen. Sie sind sprachlos. Ihr Selbstausdruck
ist empfindlich gestört, wenn es problematisch wird, einen zusammenhängenden Satz herauszubekommen. In der
Schwierigkeit, den Zusammenhang zu wahren, einen ganzen, in sich stimmigen Satz zu bilden, wird als weiteres
Charakteristikum die Störung des Gesamtzusammenhanges deutlich. Die Koordination aufeinander angewiesener Teile
ist gestört. Das geführte Leben ist mit dem eigenen Wesen unvereinbar. Koordinationsprobleme sind auch in anderen
Bereichen entscheidend. Noch vor Lähmungen behindern sie die Patienten und führen zu dem typischen unsicheren
Gang, der wie betrunken wirkt. Die Betroffenen wackeln durchs Leben und können nur noch sehr begrenzt über
ihre Muskeln bestimmen. Diese Unbestimmbarkeit findet sich generell. Das Krankheitsbild verläuft in so unvorhersehbaren
Schüben von Hochs und Tiefs, daß sich die Patienten nur noch auf den Moment verlassen können.
Die betroffene Schwachstelle ist auf körperlicher Ebene die Verbindung zwischen Nerv und Muskel. Laut Schulmedizin
handelt es sich bei der MS vor allem auch um eine degenerative Nerven-Muskel-Entzündung, einen chronischen
Konflikt also an der Verbindungsstelle zwischen Informationsleistungen und ausführenden Bewegungsorganen.
Die Nachrichtenübermittlung ist in Frage gestellt. Im Falle der Wortfindungsstörungen bringen die Patienten
ihre Informationen nicht mehr an den Mann bzw. die Frau und verlieren damit eine wesentliche Möglichkeit,
Einfluß auf ihre Umwelt zu nehmen. In dem Maße, wie sie sie nicht mehr Worten beeinflussen können, verlieren
sie auch die Fähigkeit, sie zu steuern. Im verbalen Kontrollverlust liegt für den Menschen, denen innere
Kontrolle über alles geht, eine furchtbare Bedrohung. Läuft das Einflußnehmen über Schreiben, kann drohende
Lahmheit der Arme zur herausragenden Angst werden. In dieser Tendenz zur Kontrolle und Einflußnahme liegt auch
die Erklärung für den außerordentlichen Organisationsgrad sowohl einzelner MS-Kranker als auch der ganzen
Schicksalsgemeinschaft. In ihrem grundsätzlichen Bemühen helfen sie sogar oft noch anderen Kranken. Besonders
Patienten, die ihre eigenen Probleme überwunden haben, finden hier ein Feld für ihr inneres Muster. Solange
es nicht benutzt wird, um von den eigenen Aufgaben abzulenken, sondern sich im Gegenteil im Spiegel anderer
Kranker zu erkennen, liegt hier eine wundervolle Lösung.
In ähnliche Richtung weisen die Gedächtnisprobleme. Die Patienten können sich nichts mehr merken, nichts
behalten, auch nicht mehr mitreden. Sie sind nicht mehr verantwortlich, sie sind doch nicht einmal
fähig, konkret zu antworten, weder auf die Ansprüche der Gesprächspartner noch auf die des Lebens. Es liegt
auf der Hand, daß, wer nicht antworten auch keinerlei Verantwortung tragen kann. Was ihnen das Krankheitsbild
so deutlich macht, wollen die aktiven und ehrgeizigen Patienten selten wahrhaben und weigern sich oft,
die Invalidisierung zu akzeptieren, die sie auch rechtlich der Verpflichtung zur Eigenverantwortung enthebt.
Den Verlust der Konzentrationsfähigkeit zeigt die Unfähigkeit, bei einer Sache zu bleiben. MS-Patienten haben
grundsätzlich die Tendenz, an Standpunkten rigide festzuhalten, auch wenn sie selten in der Lage sind,
diese gegen andere zu verteidigen oder gar durchzudrücken. Ihr Anspruch ist von Festigkeit und Prinzipientreue
geprägt bis zur Starrheit und sogar Sturheit. Das Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit ist wie das
Überlaufen der Blase ein Selbsthilfeversuch des Körpers. Ohne Konzentration wird es dem Betroffenen unmöglich,
in den gewohnten eingefahrenen Bahnen zu verharren. Sie werden im Gegenteil ständig aus der Bahn geworfen,
vergessen ihr Thema und müssen sich neu orientieren.
Allerdings verlieren sie auch ganz konkret die Wirklichkeit aus den Augen, da der Gesichtssinn häufig mitbefallen
ist. In seltsamen Lichterscheinungen wie hellen Blitzen kann man den Versuch des Organismus sehen, den
Patienten bezüglich ihrer Wahrnehmung ein Licht aufgehen zu lassen. Sie sehen offensichtliche Dinge, die
nicht existieren. Oft legen sie sich auch Schleier vor die Augen, und phasenweise tritt Blindheit auf. Wenn
exakt das halbe Gesichtsfeld ausfällt, wird die Deutung einfach: Man sieht nur noch die eine Hälfte der
(eigenen) Wirklichkeit. Häufig auftretende Doppelbilder machen eine gefährliche Doppeldeutig- und Doppelsinnigkeit
deutlich. Ausdrücke wie "Doppelbödigkeit" oder "Doppelte Moral" verraten die mitschwingende Qualität.
In diesen Zusammenhang gehört auch, daß Moral- und Ethikvorstellungen oft so strikt sind,
daß einfach nicht sein darf, was ist. Auch darauf können die doppelten Bilder hinweisen. Die Wirklichkeit
wird - unbemerkt - mit zweierlei Maß gemessen.
Die doppelte Optik deutet an, daß man in zwei unvereinbaren Welten gleichzeitig zu leben versucht.
Die Welt der eigenen Bedürfnisse und die der Anforderungen der Umwelt sind unvereinbar,
weshalb die meisten Patienten sich unbewußt entschließen, eigene Empfindungen und Wahrnehmungen
drastisch abzuschwächen oder gar nicht mehr aufzunehmen. Die doppelten Bilder zeigen aber, daß
die eigenen Vorstellungen im Schatten weiter existieren und von hier aus mit der äußeren Welt in
Konkurrenz treten. MS-Patienten sind sozusagen Kinder zweier (im Kampf miteinander liegender) Welten.
Sie können in keiner dieser Welten ganz aufgehen und sitzen zwischen den Stühlen. Zwei nicht zur Deckung
zu bringende Wahrnehmungen führen oft dazu, daß einem schwindlig wird. Der Mechanismus ist derselbe
wie bei der Seekrankheit. Es liegt ganz einfach ein Schwindel vor.
Die häufig auftretenden Gleichgewichtsstörungen gehören hierher. Sie zeigen, wie wenig die Patienten seelisch
in Harmonie sind. Sie bewegen sich auf schwankendem Boden. Oft wird die Erfahrung beschrieben, der
Untergrund (Lebensgrund?) sacke unter einem weg, man müsse sich wie durch Treibsand vorwärtskämpfen
oder wie ein Seiltänzer auf schmalem Grad balancieren. Das Gefühl, wie betrunken den Boden unter den
Füßen zu verlieren, zeigt, wie wenig fest und verläßlich der Kontakt zur eigenen Basis und die Verwurzelung
im Seelengrund ist. Die Angst, auf schmalen Brücken abzustürzen, zeigt die Bedrohung des Lebens und die
Nähe des Abgrundes bei der Gratwanderung. Tatsächlich rückt mit fortschreitendem Krankheitsbild die Gefahr
des Absturzes näher. Der nicht gelebte Schatten droht die Patienten in seinen Einflußbereich zu ziehen.
Besonders gefährlich wird es, wenn zu diesem Schwanken auch noch Schwäche und Empfindungsstörungen der Beine
hinzukommen, die sich oft zentnerschwer oder wie eingeschlafen anfühlen.
Die sich ergebende Persönlichkeitsstruktur ist einerseits ausgeprägt von dem Wunsch, alles zu kontrollieren
und vorauszuplanen, andererseits von dem Mangel an adäquater Reaktion auf Herausforderungen.
Sobald etwas gegen ihre festgefügten und oft starren Vorstellungen läuft, treten bei den Patienten
Widerstand und Angst auf. Erhebliche Versagensangst und mangelndes Selbstvertrauen verhindern aber,
daß sie ihrem Unwillen Ausdruck verleihen. Diese Mischung erweckt bei Außenstehenden leicht den Eindruck
von Dickköpfigkeit.
Die Unterdrückung aller eigenen Lebensimpulse, Reaktionen und Antworten auf das Leben ist den Betroffenen
selbst kaum bewußt. Wird sie ansatzweise bewußt, kommt es manchmal auch zu Überkompensation und besonders
demonstrativem Lebenshunger. Starrheit und festgefügte Vorstellungen kontrastieren zur Neigung, es allen
recht zu machen. Dabei vernachlässigen die Patienten ihre eigenen Bedürfnisse, was sie innerlich in
Rage bringt. Weitgehend unfähig, sich durchzusetzen und Aggressionen zu äußern, richten sie diese nach
innen gegen sich selbst. Die medizinische Erklärung der MS als Autoaggressionskrankheit erklärt den
Verbleib der Energie. Typische Sätze in der Therapie sind: "Ich wurde gelebt", "Meine Ehe war ein einziges
Aufopfern", "Ich bin immer nur zu Kreuze gekrochen", "Ich habe mir nie eine Schwäche erlaubt" oder
"Ich habe mich so weit von mir selbst entfernt".
Eine sehr wesentliche Rolle spielt die sexuelle Problematik, die bei Männern besonders ausgeprägt ist und
von Erektionsschwäche über vorzeitige Ejakulation bis zur Orgasmusunfähigkeit reicht. Besonders schwierig
bei der am Außen orientierten Lebenseinstellung der Patienten ist, daß sie in ihrer Einschätzung keinen
Vergleich mehr aushalten. Alles auf Ehrgeiz und Konkurrenz gerichtete Verhalten, das im sexuellen
Bereich grundsätzlich hinderlich ist, wird drastisch therapiert und die generelle Tendenz des
Krankheitsbildes, in die Schwäche zu zwingen, weiter vorangetrieben.
Die Symptome machen einerseits ehrlich, andererseits verdeutlichen sie die Lernaufgabe und weisen den Weg.
Verhärtung und Verfestigung fordern auf, fest und konsequent in der Durchsetzung der eigenen Lebensbedürfnisse
zu werden und Stärke in sich selbst zu finden. Ein starkes Selbstvertrauen müßte zur Basis des seelischen
Lebens werden und die Verhärtung der physischen Nerven ersetzen. Nerven wie Drahtseile sind nur
im Übertragenen erstrebenswert. MS-Patienten, mit ihrer Angst, sich selbst zu sehen, geschweige denn
zu verwirklichen, neigen dazu, sich klein, hilflos und unempfindlich zu machen.
Die Erlösung der Schwäche liegt letztlich in der Hingabe, der Annahme des vom Körper aufgezwungenen
Nachgebens und Geschehenlassens. Die Aufgabe des Kampfes wird zur Aufgabe. Das nicht offen
geäußerte Bedürfnis der MS-Patienten, alles nach ihren Vorstellungen zu planen, zu steuern und
zu kontrollieren, wird vom Schicksal therapiert. Erst wenn eine Loslösung von den Ansprüchen der Umwelt
geschaffen ist, geht es darum, den eroberten und vorerst heilsamen Egoismus wieder zu wandeln und einem
höheren Willen zu unterstellen. "Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe!" Bevor aber solch
hohe religiöse Ideale eine Chance haben, ist es notwendig, innerlich auf die eigenen Beine zu kommen.
Das Bedürfnis nach eigener Durchsetzung führt ein Schattendasein und wird fast ausschließlich über die
Krankheitssymptome gelebt. Mit der Diagnose MS läßt sich Macht ausüben, was selten gesehen und häufig
bestritten wird. Die Aufgabe kann nicht in weiterer Hingabe an die Anforderungen der Umwelt liegen,
sondern zuerst in einer Hingabe an die eigenen Bedürfnisse und letztlich an Gott bzw. die Einheit im
Sinne des "Dein Wille geschehe!". Hingabe an die Umwelt könnte nur erlösend wirken, wenn aus
Kadavergehorsam und widerwilligem Folgen aus Schwäche freiwilliges, innerlich getragenes Mitmachen wird,
wie es häufig geschieht, wenn sich die Patienten für Leidensgenossen einsetzen. Im übergroßen Schlafbedürfnis
und der lähmenden Müdigkeit wird die Nacht- und damit die weibliche Seite des Tages betont und
den Patienten ans Herz gelegt. Die eigenen Gefühle, Träume und Phantasien und ihr Lebensraum werden
Lebensaufgabe.
Wirbelsäulenschmerzen lenken die Aufmerksamkeit auf dem Kampf um die eigene Linie und auf die Thematik der
Aufrichtigkeit, die auch in anderen Symptomen anklingt. Die Schwindelneigung enthält darüber hinaus
die Aufforderung, sich mitzudrehen mit der Welt, die Scheinsicherheit und -welt der eigenen Prinzipien
und Moralvorstellungen in Frage zu stellen und die daraus erwachsene Starrheit der Standpunkte wieder
in Bewegung zu bringen. Eingefahrene Wege und festgefahrene Vorstellungen, die vor einem und damit
im Wege stehen, gilt es ins Wanken und zum Schwanken zu bringen.
Doppelbilder weisen u.a. darauf hin, daß es noch eine andere Wirklichkeit neben der geläufigen gibt und
das Leben tatsächlich einen doppelten Boden hat. Erst aus dem Vertrauen zu dieser zweiten Ebene,
dem göttlichen Plan, der alle menschlichen Pläne in sich enthält, kann jenes Selbstvertrauen wachsen,
das den MS-Patienten so fehlt.
Die überlaufende Blase will anregen, die Tränen überfließen zu lassen, den Überdruck des seelischen Staus
bei jeder Gelegenheit abzulassen. Die Blasenreizung lenkt Aufmerksamkeit auf den Konflikt um das
Thema "Loslassen". Die Harnverhaltung, eine komplette Zurückhaltung und Abkehr vom Austausch mit der Welt,
legt im erlösten Sinne nahe, sich auf sich selbst zu besinnen, die seelischen Energien für sich zu nutzen:
statt Zurückhaltung und Rückzug Rückbesinnung und Rücksicht auf sich selbst.
In diese Richtung deuten auch die Empfindungsstörungen: Mit dem Gefühl für den eigenen Körper und der
Fähigkeit, die äußere Welt zu spüren, soll dem Betroffenen ganz offenbar die äußere Welt mit all ihren
Anforderungen aus dem Bewußtsein gerückt werden. Was als Aufgabe bleibt, ist die zu kurz gekommene
innere Welt spüren und empfinden zu lernen. Der Hinweis auf das Innen läßt sich auch aus den Lähmungserscheinungen
herauslesen. Wenn die Beine nicht mehr tragen, soll man offensichtlich nicht mehr hinaus in die Welt, all
das Rennen für die anderen bzw. für die Anerkennung durch die anderen ist zu Ende. Nach innen zu gehen
steht als einzige Möglichkeit offen. Wenn die Hände kraftlos werden, ist es entsprechend nicht mehr ihr Ziel,
die äußere Welt in den Griff zu bekommen und ihr den eigenen Stempel aufzudrücken. Das eigene Innenleben
selbst in die Hand zu nehmen, bleibt dagegen möglich und wird zur vorrangigen Aufgabe.
Die weitestgehende Rückbesinnung führt zu archetypischen Bildern, wie Mythos und Religion sie kennen. So ist
die umfassendste Aufgabe, die in jedem Krankheitsbild zumindest am Horizont erscheint, die letztendliche
Rückbesinnung auf die geistig-seelische Urheimat des Menschen. Bei Symptombildern, die dieses Leben zu
beenden oder so drastisch einzuschränken drohen, ist diese Aufgabe besonders vorrangig. Bei einem
Krankheitsbild wie der Multiplen Sklerose, das den Rückbezug auf sich selbst und die eigene Innenwelt
so nachdrücklich über die Symptome zu erzwingen sucht, wird dieses Thema zusätzlich betont. Damit wird dem
Betroffenen das Thema der Religio, der Rückverbindung zum Ursprung im religiösen Sinne nahegebracht.
Und die großen Fragen des Menschseins kommen aus dem Schattenreich ins Licht der Bewußtheit:
"Woher komme ich?" - "Wohin gehe ich?" - "Wer bin ich?"
Fragen
1. Warum bin ich so hart zu mir und gehe so hart mit anderen ins Gericht und versuche dennoch,
ihnen alles recht zu machen?
2. Wo versuche ich, meine Umwelt oder mich selber zu kontrollieren, ohne dazu in der Lage zu sein?
3. Was gibt es in dieser Welt für Alternativen zu meinen unverrückbaren Ansichten über das Leben,
seine Moral und Ethik?
4. Wie könnte ich mir mein Leben erleichtern? Wo mehr Geduld mit mir üben? Wie zu meiner
Schwäche stehen, mich ihr stellen?
5. Was hindert mich, am Leben teilzunehmen? Was veranlaßt mich abzuschalten? Was für Möglichkeiten
habe ich, Streß, Überforderung und Hektik zu begegnen?
6. Was lähmt meinen Seelenmut? Welcher Widerstand macht micht müde?
7. Warum betäube ich mich? Wo stelle ich mich taub? Wofür bin ich blind?
8. Inwiefern richte ich meine Hauptenergie gegen mich selbst?
9. Wo kann ich die Seelenflut, die meine Blase beutelt, in meinem Leben wahrnehmen?
Wo sind Tränen überfällig, wo überflüssig?
10. Wie fähig bin ich, aufs Leben zu antworten und Verantwortung zu tragen? Warum erfülle ich Erwartungen,
statt auf mich zu hören? Wie komme ich von Fremdbestimmung zu Eigenverantwortung?
11. Wie gehören die Strömungen meiner Seele in einem Muster zusammen? Was ist ihre natürlich Ordnung?
Was gehört an erste Stelle? Wie lassen sich äußere und innere Ordnung koordinieren?
12. Was hindert mich, dem Unberechenbaren und Wechselhaften meines Lebens offen zu begegnen?
13. Wie kann ich mich unter Wahrung meiner seelischen Identität ins große Ganze einfügen und den
Sinn meines Lebens finden?
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